Der Klimawandel bedeutet mehr Bergstütze und Überschwemmungen. Wie die Landschaftsarchitektur darauf reagieren kann, untersucht die ETH-Professorin Martina Voser im Sandkasten, am Computer und im Dialog mit der Bevölkerung.
Im Büro der ETH-Professorin Martina Voser steht ein grosser Sandkasten. Er ist nicht für Kinder gedacht, sondern für Erwachsene. Die Landschaftsarchitektin kann damit Topografie und Wasserflüsse intuitiv modellieren. Eine Kamera über der Sandbox überträgt das physische Modell in den digitalen Raum und kann Simulationen darauf projizieren. «Der Wechsel zwischen analog und digital, zwischen Intuition und Präzision ist wichtig, um die zeitliche Dimension im Entwurf zu verstehen», sagt Voser. Denn Landschaft ist im Unterschied zur Architektur nicht statisch: Pflanzen wachsen, Organismen entwickeln sich, die Geologie verändert sich. Voser sagt es so: «Man lernt mit Prozessen zu entwerfen.»
Martina Voser ist seit 2021 Gastprofessorin an der ETH Zürich, Ende 2023 wurde sie zur ordentlichen Professorin für Landschaftsarchitektur berufen. Studiert hat die 50-jährige Schweizerin einst Architektur an der ETH, später hat sie in Cottbus, in Mendrisio und in Lausanne gelehrt. An der ETH unterrichtet sie Entwurf für die Studiengänge Architektur sowie Landschaftsarchitektur. «Zusammen mit den Studierenden sind wir auf der Suche nach einem neuen Vokabular für die zeitgenössische Landschaft», sagt Voser. Es geht darum, die Landschaft zu lesen, in Systemen zu denken – und die Zeit zu berücksichtigen.
Neben der Professur führt Martina Voser das Landschaftsarchitekturbüro mavo Landschaften in Zürich. «Der Austausch zwischen Forschung und Praxis ist wichtig», sagt sie. Der Beruf wandelt sich. Die Auftraggeber wollen oft nicht nur einen Entwurf für einen Park oder Friedhof, sondern suchen nach Transformationsstrategien für ganze Areale. Die Fragen sind dabei meist offen und übergeordnet. «Wir sind immer auf der Suche nach vielschichtigen Mehrwerten – für Flora, Fauna und Gesellschaft.» Diese Verschiebung der Praxis wiederum beeinflusst Lehre und Forschung.
Die Landschaft wird dynamischer
Die Verdichtung in den Schweizer Städten und Agglomerationen bedeutet: Die Landschaft muss immer mehr leisten. Sie dient der Naherholung, sie liefert Ressourcen, sie trägt zur Biodiversität bei. Voser spricht von einer «verdichteten Landschaft». Eine klare Grenze zwischen Stadt und Landschaft gibt es laut der Professorin schon langen nicht mehr. Das heisst: Es treffen unterschiedliche Interessen aufeinander. «Landschaft ist politisch.»
Das Einflussgebiet der Landschaftsarchitektur geht über die Parzellengrenze hinaus, mal liegt es zwischen zwei Häuserzeilen und mal zwischen zwei Tälern. «Die Landschaft vermittelt und verbindet», sagt Voser. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zwischen Ökologie und Ingenieurwesen. Zwischen Architektur und Natur. All diese Ansprüche an die Landschaft benötigen Fachleute in der Planung. Doch der Fachkräftemangel in der Disziplin ist gross, weshalb der Bund die Bildung und Beratung für die Landschaft fördert.
«Die ETH wurde gegründet, als die Infrastruktur der modernen Schweiz gebaut wurde», sagt Voser. Heute geht es darum, diese zu adaptieren und für die Zukunft fit zu machen. Mit dem Klimawandel verändert sich auch die Landschaft. Es geht um Themen wie Hitzeminderung in Städten oder das Speichern von Wasser im urbanen oder ländlichen Kontext.. Die Klimaadaption muss darauf reagieren, dass es mehr Bergstürze, Dürren und Überschwemmungen gibt. Die Landschaft wird dynamischer und braucht mehr Raum. Einst hat man die Bäche kanalisiert und die Sumpfgebiete entwässert. Heute versucht man, den Flüssen wieder mehr Platz zu geben und sogar kontrollierte Überschwemmungen zuzulassen. «Die Gefahren nehmen zu, gleichzeitig müssen wir das Wasser umarmen», so Voser.
Entwürfe der Studierenden für Brienz
Was bedeuten diese Veränderungen für die Gestaltung der Landschaft? «Wir müssen die Krise als Chance sehen», sagt die Professorin. «Das Bild der Heidi-Schweiz wird sich verändern und es wird neue Naturen geben.» Es ist darum wichtig, die Bevölkerung in dem Prozess zu informieren und abzuholen. Voser hat das letzte Semester dem Bergsturz in Brienz gewidmet und ist mit drei Fragen gestartet: Das Dorf verlassen? Das Dorf schützen? Oder das Dorf verändern? Die Studierenden zeichneten mögliche Lösungen und diskutierten diese mit dem Gemeindepräsidenten und dem Raumplanern. «Der Prozess hilft, die Debatte anzustossen und Ängste abzubauen.»
Wie man dem Klimawandel im Kleinen konkret begegnen kann, will Voser mit einem Wassergarten auf dem Dach des HIL-Gebäudes an der ETH veranschaulichen. Das Projekt ist als «Living Lab» ausgelegt, wird also Alltag und Forschung verbinden. Die kahle Dachterrasse soll dank der Installation mehr Wasser zurückhalten können. Und gleichzeitig aufgewertet werden. Die Landschaft wirkt einmal mehr als verbindendes Element.
Das Original dieses Artikels von Andres Herzog erschien in den ETH-News am 25.04.2024.