Kay Axhausen ist nun für zwei Jahre neuer Leiter des Netzwerks Stadt und Landschaft. Er äussert sich hier zur Zusammenarbeit der Disziplinen Städtebau, Raum- und Landschaftsentwicklung und Verkehrsplanung sowie zur Neuordnung der Strassenfinanzierung in der Schweiz aufgrund automatischer Fahrzeuge.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem D-ARCH aus? Ist es überhaupt möglich, Verkehrsplanung zu betreiben ohne Städtebau und Raumplanung?
Nein, da es ja darum geht Nachfrage und Angebot abzustimmen; abzuschätzen, wie viele Personen wann, wo, warum und mit welchem Verkehrsmittel unterwegs sein werden. Wir müssen also wissen, wo im Raum die Menschen und die Orte, die sie erreichen wollen, angesiedelt sind. Nur so können wir die Infrastrukturen verorten, die dann die Reisezeiten und Geschwindigkeiten ermöglichen, die die Menschen erwarten.
Es geht aber nicht nur um die gebauten Infrastrukturen, sondern auch um die Dienstleistungen, die wir auf ihnen anbieten und um die Regeln und Preise, die wir festlegen und verlangen. Also die Buslinien, ihre Fahrpläne, ob Fahrräder mitgenommen werden dürfen und letztlich den Fahrpreis.
Aber Verkehrsplanung macht natürlich mehr, da ja die Methoden entwickelt werden müssen, um diese Abschätzungen zu ermöglichen, da wir ja das Verhalten verstehen müssen, da wir ja die Rückkopplungen zwischen Raum und Verkehr erfassen müssen. In der Forschung ist man dann oft gefühlt weit weg von der eigentlichen Aufgabe.
Christian Schmid, Ihr Vorgänger, sprach vom Ansiedeln eines erneuerten Future Cities Laboratory an der ETH Zürich. Wie geht es mit diesem Projekt weiter?
Diese Idee wurde weiterverfolgt. Adrienne Grêt-Regamey, Christophe Girot, Sacha Menz und Gerhard Schmidt haben die Arbeiten durch ihren grossen Einsatz vorangetrieben. Wir sind im Moment in der entscheidenden Phase, in der das Gesamtpaket von Singapur und der ETH Zürich beurteilt wird. Wir erwarten die Entscheidung bis Ende Jahr, so dass die ausgewählten Teilprojekte dann im Januar 2021 beginnen können. Wir hätten so einen lückenlosen Übergang für die erfahrenen Mitarbeitenden in Singapur.
Ja, FCL Global wird Projekte in Zürich und Singapur eng mit einander verknüpfen. Wir wollen so weltweite Themen und Herausforderungen aufgreifen und versuchen Lösungen für sie zu erarbeiten. FCL Global würde dann auch die ETH Zürich im Bereich der Stadt- und Raumplanung stärken, da dieser Schwerpunkt noch deutlicher sichtbar werden wird.
In letzter Zeit wurde Ihre Studie in den Medien diskutiert, wonach uns selbstfahrende Autos mehr – nicht weniger Verkehr bescheren werden. Gibt es Rahmenbedingungen, die eine Verkehrsabnahme garantieren würden?
Automatische Fahrzeuge (AF) sollten in vielen Bereichen ein eindeutiger Fortschritt sein: für unsere alternde Gesellschaft, für die Verkehrssicherheit, für die Haushalte mit Kindern und Jugendlichen. Sie sind aber auch eine Herausforderung: Sie werden die Strassenkapazitäten erhöhen und damit die Strassen beschleunigen, sie werden kostengünstiger sein. Wie in der Vergangenheit werden solche Preissenkungen zu mehr Konsum von Verkehr führen. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie wir die vorhandenen Kapazitäten den Nutzenden zuteilen wollen; und damit auch welche Erreichbarkeiten und Geschwindigkeiten wir möchten.
Ich kann nicht vorhersagen, ob die Schweiz sich für ein Modell wie Singapur, oder ein Modell wie Bangkok entscheidet: starke Rationierung des PW-Besitzes, Rationierung der Nutzung mit Gebühren und höheren Geschwindigkeiten oder das Gegenteil.
Bis Ende 2018 haben Sie gemeinsam mit der EPFL am Projekt «Post-car world» mitgearbeitet. Wie sieht denn nun eine Welt nach den Autos aus und inwiefern beeinflusst dies unsere heutige Perspektive?
Ja, Post Car World hat hier durch seine Befragungen wichtige Einsichten geschaffen, insbesondere zur Wertschätzung der Freizeit und der Zeit in Fahrzeugen. Aber gleichzeitige Projekte, wie zum Beispiel zur Einführung von catch-a-car in Basel, müssen zur Beantwortung der Frage mit einbezogen werden. Es ging im Projekt ja nicht um eine Welt ohne PW, sondern eine Welt ohne private PWs. Wir sind da etwas zurückgerudert.
Es zeigt sich, dass neue Angebote, die PWs temporär zur Verfügung stellen, in der Lage sind Haushalte davon zu überzeugen, dass sie keinen privaten PW benötigen. In Städten mit gutem öffentlichen Verkehr (ÖV) ist der Effekt noch stärker. Wir werden sehen, ob automatische Taxiflotten diesen Prozess verstärken werden. Wir wissen durch Simulationen, dass automatische Taxiflotten die heutigen Fahrten einer Stadt mit dramatisch kleineren Flotten verlässlich und mit geringen Wartezeiten abwickeln können. Es ist aber noch unklar ob ein solches Angebot die «car sharing» Wirkung auf den privaten PW-Besitz explodieren lassen würde.
Was denken Sie, wie sich die Gesellschaft entscheiden wird: mehr Verkehrswege oder Einschränkungen mittels z.B. Mobility Pricing?
Aufgrund der bisherigen Versuche denke ich, dass sich die meisten Gesellschaften für weitere Schienen und Strassen entscheiden werden, wenn die Wahl nur auf diese beiden Optionen beschränkt wird. Das könnte sich ändern, wenn man eine modernisierte Option, wie sie in der Schweiz mit dem Bonus/Malus System schon mal diskutiert wurde, anbietet. Hier würden die Reisenden ihr Kontingente an «Strassenfläche/Platz im Zug» miteinander handeln.
Die Ankunft der automatischen Fahrzeuge wird hier ein Zeitpunkt, zu dem man diese Frage neu stellen könnte. Mit diesen elektrischen Flotten muss die Strassenfinanzierung ja auf jeden Fall neu geordnet werden.
Wird es in naher Zukunft ein Studium geben, bei dem Verkehrsplanung, Städtebau, Raum- und Landschaftsentwicklung zu gleichen Teilen angegangen werden?
Sie haben die Strassenverkehrstechnik und den öffentlichen Verkehr vergessen. Diese Breite ist die Herausforderung jedes entsprechenden Studiengangs. Wir lösen das im MSc Raumentwicklung und Infrastruktursysteme durch die vielen angebotenen Wahlfächer, aber im Kontext einer grossen gemeinsamen Pflichtprojektarbeit im dritten Semester, in der dann alle Themen wieder zusammenkommen. Dieser Studiengang bildet seit über 10 Jahren entsprechende Fachleute aus, die jeweils ihren eigenen Schwerpunkt setzen.
In welche Richtung soll es mit dem NSL in nächster Zeit gehen?
Dieses Netzwerk ist eine zentrale Schnittstelle zwischen allen interessierten Gruppen am D-BAUG und D-ARCH. Diese gilt es weiter zu stärken, vielleicht auch durch die Öffnung zu den Umweltnaturwissenschaften und den Ökonomen/Politikwissenschaftlerinnen. Das neue Institut für Landschafts- und Urbane Studien am D-ARCH wird ja vielleicht bestimmte frühere Aufgaben übernehmen. Das beantragte Future Cities Laboratory Global mit seinen Standbeinen in Zürich und Singapur gibt uns neue Möglichkeiten, die wir nutzen und diskutieren müssen.
Prof. Dr. Ing. Kay W. Axhausen ist seit 1999 Professor für Verkehrsplanung am Institut für Verkehrsplanung und Infrastruktursysteme (IVT) der ETH Zürich. Vorherige berufliche Stationen waren die University of Oxford, Imperial College, London und die Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck.