Viel zu reden gab die Tatsache, dass der Fachbereich Raumentwicklung am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich nach der Emeritierung von Prof. Dr. Bernd Scholl nicht nahtlos von einer vollen Professur übernommen wurde, wie dies anfänglich der Plan war. PD Dr. Joris Van Wezemael und Dr. Markus Nollert, die – nahtlos – die Lehre weiterführen, stellen sich hier unseren Fragen.
Markus und Joris: ihr werdet am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung (IRL) den Fachbereich «Raumentwicklung» weiterführen. Was ändert sich nun in der Lehre, in der Forschung und für die Schweizer Raumentwicklung?
Markus: So wenig wie möglich und hoffentlich eine ganze Menge! Auch in der neuen Situation bieten wir ein attraktives und vielfältiges Lehrangebot im Bereich Raumentwicklung an, was sicherlich eine Herausforderung ist, da wesentlich weniger Personal zur Verfügung steht als bisher. Konkret habe ich ein Pensum von 50%, Joris engagiert sich einen Tag pro Woche, beide mit einer gewissen Unterstützung durch Assistenzstellen. Was wir nicht können, ist die Funktion einer vollen Professur für Raumentwicklung zu kompensieren, und das ist auch nicht unser Auftrag. Ändern werden wir Konzeption und Inhalt der bestehenden und neuen Vorlesungen, was sich auch in unseren Forschungsthemen niederschlägt. Mein Schwerpunkt wird unter anderem die Erforschung von Möglichkeiten der Transformation bestehender Raumstrukturen im Kleinen wie im Grossen sein, denn vor diesen Herausforderungen stehen zukünftig immer mehr Schweizer Regionen. Dort wird auch die Methode des Entwerfens und die Konzeption geeigneter Verfahren und Instrumente eine zentrale Rolle spielen, die in der Planungspraxis zu testen und zu verbessern sind.
Joris: Ich stelle langfristig und nachhaltig die Verbindung von Praxis und Planungstheorie mit einem besonderen Fokus auf neue Daten im Raumentwicklungsbereich sicher. Die Vakanz der Professur für Raumentwicklung wird eine Forschungslücke hinterlassen. Der Lehrbetrieb und die Ansprechbarkeit des IRL für die Praxis sind indes sichergestellt.
Joris, worum geht es in deinem Forschungsprojekt «Smart use»?
Bei «Smart Use» geht es um die Liaison von Technologie und Raumnutzung. Genauer gesagt haben wir eine Plattform gebaut, die politische und zivilgesellschaftliche Gruppen miteinander über deren Daten vernetzt. Das Projekt verbindet Wissenschaft und Praxis, indem es die Kernthemen «Governance» und (Big) «Data» handlungsorientiert miteinander koppelt. Spannend ist sicher auch der Aspekt, dass das Projekt von einem Zusammenschluss von acht Kantonen in der sogenannten Metropolitankonferenz als ein Kooperationsprojekt unterstützt wird – aber auch, dass es von Anfang an als eine transdisziplinäre Initiative der Hochschule (Raumentwicklung ETH Zürich, Joris Van Wezemael), der Forschung im privaten Sektor (HosoyaSchaefer Architects) und von DatenspezialistInnen der OpenData Szene (datalets, Oleg Lavrovski) begründet wurde. Die Plattform bildet den zentralen Kern meiner Forschung und Vermittlung am IRL.
Markus, wo siehst du die aktuellen Herausforderungen der Raumentwicklung, vor allem zum Stichwort Verdichtung? Wie gehst du diese in deinen Projekten an, z.B. in Schlieren und Köln-Bonn?
Bei der Erarbeitung des kommunalen Richtplans Siedlung & Landschaft in Schlieren ist mir wieder vor Augen geführt worden, wie wenig wir über die Transformation von bestehenden Quartieren wissen und welche Herausforderungen sich der Raumentwicklung, aber auch der Politik und der Architektur stellen, denen ich mich an der ETH widmen will. Bis jetzt haben wir Baulücken geschlossen, Industriebrachen umgenutzt und Areale überbaut. Wie wir aber Quartiere mit mehreren EigentümerInnen mit guter Qualität verdichten können, ist weitgehend unklar. Klar ist, dass eine solche Transformation des Siedlungsbestands nur über lange Zeiträume und in mehreren Etappen, gemeinsam mit den GrundeigentümerInnen und möglicherweise mit neuen Instrumenten gelingen kann. Hier bietet sich auch ein interessanter Link zum Projekt «Smart use».
In einem ganz anderen Massstab stellt sich für mich eine zweite Frage: Welche strategische räumliche Entwicklungsrichtung sollen Regionen und Städtenetze einschlagen? Beispielsweise konnten wir im Agglomerationskonzept Köln-Bonn ein räumliches Strukturbild für eine Region mit über vier Millionen EinwohnerInnen entwerfen. Diese Nachfrage nach «Bildern» und Konzepten stellt ganz neue Ansprüche an das Planen und Entwerfen im grossen Massstab, den Umgang mit Komplexität, aber auch an die Prozesse, mit denen diese Entwürfe mit den vielen AkteurInnen diskutiert werden.
Was verbindet euch mit dem NSL?
Markus: Das NSL war in meiner aktiven Zeit als Assistent immer ein Möglichkeitsraum, in dem sich die unterschiedlichen Disziplinen der Raumentwicklung austauschen und gemeinsam weiterkommen können. Besonders beindruckend empfand ich die Treffen des Mittelbaus, in denen deutlich wurde, an wie vielen gemeinsamen Themen wir eigentlich arbeiten. Bei der Konzeption einer gemeinsamen Ausstellung der Lehrstühle von Prof. Bernd Scholl und Prof. Marc Angélil zum Felderboden in Schwyz hatte ich die Gelegenheit, vertieft mit den Städtebauern Michael Martin und Lukas Küng zusammenzuarbeiten. Die Diskussionen über die dortigen räumlichen Herausforderungen aus den unterschiedlichen Perspektiven inspirieren mich noch heute. Der Vorteil des NSL liegt für mich ganz klar in der Möglichkeit transdisziplinär zu arbeiten, denn wie sollen wir die Komplexität des Raums erforschen, wenn wir unser Wissen und unsere Sichtweisen nicht gemeinsam in die Waagschale werfen?
Joris: Mit Blick auf die Notwendigkeit, die Städtebau und Raumentwicklung sowie deren inhaltliche und strategische Zusammenarbeit zu stärken, hat das Netzwerk Potenziale wie kein zweiter Ort in der Schweizer Hochschullandschaft. Ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das NSL den Raum für interdisziplinäres Arbeiten schafft, den Praxis wie Studierende zurecht einfordern.
Was ist eure Vision der Stadt der Zukunft?
Joris: Meine Sicht auf Lebensräume ist von der Einsicht geprägt, dass es keine neutralen Räume gibt: Entweder sie nützen oder schaden unserem Wohlbefinden. Ich wünsche mir daher, dass wir unsere Räume mehr von ihrem ästhetischen, ökonomischen, identitären etc. Nutzen für das Leben her denken. Die inneren und äusseren Stadtränder, die Agglomerationen sollten wir von ihren bestehenden Qualitäten aus der Sicht ihrer Nutzenden her weiterentwickeln, sie rhythmisieren und strukturieren. Gleichzeitig müssen wir die komplexe Verzahnung virtueller und physischer Räume beachten, die neuartige hybride Qualitäten hervorbringt. Welche Potenziale bergen «hybrid spaces» für eine gesellschaftlich oder ökologisch nachhaltige Raumentwicklung?
Markus: Ich schliesse mich Joris an, das Wohlbefinden ist ein wesentliches Element meiner Vision der Stadt der Zukunft. Das hat nicht nur mit Architektur und formeller Planung zu tun. Die Stadt muss erschwinglichen Wohnraum bieten, attraktive Angebote und Möglichkeiten, aber auch spannende öffentliche Räume, in denen ich mich «in der Stadt» und gleichzeitig wohl fühle. Das hat durchaus mit morphologischen Gesichtspunkten zu tun, aber eher im Sinne des Städtebaus und kluger Regeln für die Bebauung. In erster Linie sind es aber die Nutzungsmischung und -dichte sowie die Anzahl, Gestaltung und Funktion der öffentlichen Räume, die die Stadt lebenswert machen. Um das sicherzustellen, haben wir noch einiges zu tun – sowohl in der Forschung, aber auch in der Praxis und der Politik. Dicht zu bauen macht noch lange keine Stadt.
Markus Nollert ist Gründer des bureau für RAUMENTWICKLUNG und leitet seit August 2018 die Gruppe «Spatial Transformation Laboratories» am IRL. Neben eigenen Forschungsaktivitäten und Vorlesungen hat er die Aufgabe, die Weiterführung der Lehre im Fachbereich «Raumentwicklung» zu koordinieren.
Joris Van Wezemael ist Geschäftsführer des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA. Davor war er Professor für Humangeographie an der Université de Fribourg und Mandatsleiter einer Immobilien-Anlagestiftung in der Pensimo-Gruppe. Ab 2019 wirkt er als Executive-in-Residence am IRL der ETH Zürich.