Damian Jerjen ist neu – nebst seinem Engagement am EspaceSuisse – als Professor of Practice beim NSL, ETH Zürich, in der Grundausbildung für die Raumplaner:innen tätig. Im Interview spricht er über die besten Strategien gegen die Wohnraumknappheit, das Gesetz über eine sichere Stromversorgung, das im Juni zur Abstimmung kam und seine Schweizer Lieblingsorte.
Was werden Ihre Hauptaufgaben und -schwerpunkte in Ihrem neuen Job als «Professor of Practice» am IRL sein?
In erster Linie werde ich in der Grundausbildung am D-BAUG tätig sein. Gemeinsam mit Gabriela Debrunner übernehme ich die Leitung der Vorlesung «Grundzüge der Raum- und Landschaftsentwicklung» im Bachelor «Raumbezogene Ingenieurwissenschaften» (RING). Zudem werde ich im Master «Raumentwicklung und Infrastruktursysteme» (RE&IS) ein Seminar zur Siedlungsqualität anbieten. Hinzu kommt die Betreuung von Studierenden bei ihren Master- und Bachelorarbeiten sowie die Mitarbeit beim interdisziplinären Projekt im RE&IS.
Zum Schwerpunkt: Mit meinem Hintergrund als Kantonsplaner und meiner aktuellen Arbeit bei EspaceSuisse möchte ich vor allem aktuelle Herausforderungen und Fragestellungen aus der Raumplanungspraxis in die Lehrtätigkeit einbringen und auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Plattform «ETH Raum» leisten. Auf dieser neuen Plattform sind unter anderem der MAS und die drei neuen CAS-Programme angesiedelt. Damit ergänzt sie die Forschungsgruppen PLUS und SPUR und genau diese Verbindung zur Praxis soll sie ja stärken.
Ein wichtiges Thema der Raumplanung in vielen Schweizer Regionen ist die Wohnraumknappheit. Welches sind Ihrer Meinung nach die besten Strategien und Lösungen für dieses komplexe Problem?
Wohnraumknappheit hat viele Ursachen. Einerseits in der Nachfrage, beispielsweise durch das Bevölkerungswachstum, anderseits im Angebot, beispielsweise durch den Kapitalmarkt und die Zinsentwicklung. Auswirkungen hat aber auch die klare Vorgabe, die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken, um weitere Zersiedlung zu verhindern. Das hierfür notwendige «Bauen und Gestalten im Bestand» ist komplex und viel anspruchsvoller als das «Bauen auf der grünen Wiese». Die Raumplanung kann mit ihren Instrumenten, zum Beispiel die Interessenabwägung, und einer qualitätsvollen Innenentwicklung einen wichtigen Beitrag zu mehr Wohnraum und lebenswerten Räumen beitragen. Denn: mehr Dichte wird von den Menschen nur akzeptiert, wenn Qualität entsteht und Mehrwerte geschaffen werden, zum Beispiel Freiräume.
Ein wichtiges aktuelles Thema in der Raumplanung ist das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien («Mantelerlass»), die Schweizer Stimmbürger:innen im Juni angenommen haben. Was sind Ihrer Meinung nach die wahrscheinlichsten Folgen und Konflikte dieses Gesetzes in Bezug auf die Raumplanung?
Im Gegensatz zum Solarexpress, mit dem die Planung und Interessenabwägung faktisch ausgeschaltet wurde, wird die Raumplanung mit dem Stromgesetz in die Verantwortung genommen und sie kann ihre zentrale Rolle einer vorausschauenden und umfassenden Planung einnehmen. Die Kantone müssen mit ihren Richtplänen sogenannte Eignungsgebiete identifizieren und so festlegen, wo Strom aus Wind- und Sonnenkraft produziert werden soll – und wo nicht, denn wertvolle Natur- und Landschaftsräume sollen vor Eingriffen verschont werden. Auch hier kommt der raumplanerischen Interessenabwägung eine entscheidende Rolle zu, um diese Konflikte zwischen Nutzung und Schutz zu moderieren und möglichst zu lösen. Der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen ist zweifellos von herausragender Bedeutung, um die Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig ist aber auch das Interesse am Schutz der Landschaft und der Biodiversität ebenfalls erheblich und essenziell, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.
Bei der Raumplanung geht es nicht nur um die physischen Eigenschaften von Räumen, sondern auch um die Gefühle, die man mit Orten verbindet. Welche Orte in der Schweiz haben für Sie eine besondere Bedeutung und aus welchen Gründen?
Ich bin eigentlich ein urbanes Landei. Ich bin in einer kleinen ländlichen Gemeinde im Wallis aufgewachsen, wo ich immer noch wohne. Andererseits bin ich fast täglich in der Stadt, sei es in Bern bei meiner Arbeit bei EspaceSuisse oder in Zürich an der ETH Zürich. Eigentlich fühle ich mich in allen Räumen wohl, wenn die Qualität stimmt. Zuhause bedeutet mir die Nähe zur Natur und zu den Bergen sehr viel. Ich bin gerne zu Fuss unterwegs und finde es wichtig, dass die unberührten Naturräume erhalten bleiben. Im urbanen Raum schätze ich die kurzen Wege und den Nutzungsmix. Auf kleinem Raum findet man eigentlich alles, vom Einkaufen über ein Bad in der Aare bis zu attraktiven öffentlichen Plätzen. Mein Lieblingsort in Bern ist die kleine Schanze, direkt neben dem Bundeshaus und in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof. Hier kann ich sehr gut abschalten, weil dieser kleine Park – auch wenn viele Menschen ihn nutzen – eine gewisse Ruhe ausstrahlt und hilft durchzuatmen.
Damian Jerjen ist Direktor des Schweizer Verbands für Raumplanung EspaceSuisse und unterrichtet an der ETH Zürich und weiteren Schweizer Hochschulen. Der Ökonom und Raumplaner ist unter anderem Mitglied des Rats für Raumordnung. Mit EspaceSuisse unterstützt und vernetzt er schweizweit Akteure der Raumplanung und engagiert sich im Netzwerk Raumentwicklung. Er ist Mitglied des Beirats des Beirates des MAS Raumplanung der ETH Zürich.