Wie gelang es dem Botanischen Garten der Universität Zürich, in einem Land ohne Häfen, Kolonien und fernab der grossen Gartenbauzentren, durch Handel und Austausch neue Pflanzen einzuführen, in der Gartenkultur zu verbreiten und sich als Akteur im globalen Pflanzenhandel des 19. Jahrhunderts zu profilieren? Damit beschäftigt sich die Dissertation «Von der Rarität zur Alltagskultur».
Grenzen überwinden
Wissenschaft und Handel erfordern Kommunikation und Austausch. Darauf setzte auch der Botanische Garten der Universität Zürich, der zwischen 1838 bis 1893 in einer Doppelrolle agierte. Neben seiner Funktion als Bildungsinstitution war er gezwungen, einen kommerziellen Pflanzen- und Samenhandel zu betreiben, um die unzureichende Finanzierung von staatlicher Seite auszugleichen. Obwohl der Handel im Ursprung eine Notlösung darstellte, war er gleichzeitig Wegbereiter zum Aufstieg des Botanischen Gartens Zürich. Der aus Gotha stammende Botaniker Eduard Regel (1815–1892) und sein Landsmann, der Bremer Eduard Ortgies (1829–1916), führten als Obergärtner dieses Geschäftsmodell zum Erfolg. Das Fundament war ein strategisches Netzwerk der Kommunikation – disziplinübergreifend und über Landesgrenzen, Sprachbarrieren und soziale Klassen hinweg.
Der Botanische Garten Zürich profitierte dabei von den schnelleren und auf den Massentransport ausgerichteten Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen, die im 19. Jahrhundert die Reichweiten von Mensch und Gewerbe erhöhten und Entfernungen und Räume zusammenschmelzen liessen. Auf den neuen Haupthandelsrouten einer global vernetzten Ökonomie löste die Eisenbahn die Postkutsche, das Dampfschiff den Segler und das Telegramm den Brief ab. Pflanzen konnten in immer kürzerer Zeit von einem Ort zum anderen transferiert werden.
Austausch von Pflanzen und Wissen
Das Handelsnetzwerk spannte sich von San Francisco bis nach Moskau. Es bestanden Beziehungen zu den bedeutenden botanischen Gärten, Handelsgärtnereien, Pflanzensammlern und Experten der Zeit. Für reisende Botaniker wie Benedict Roezl (1823–1884) führte Ortgies eine Agentur für den Absatz überseeischer Importe in Europa. Neue Pflanzenarten aus Mexiko, Guatemala, Costa Rica, Kolumbien, Peru und den Vereinigten Staaten gelangten so erstmals in die europäische Gartenkultur. Die Obergärtner pflegten persönliche Kontakte, reisten in die europäischen Gartenbauzentren, nahmen an internationalen Ausstellungen teil und wirkten als Publizisten und Herausgeber von Fachzeitschriften. Die von Eduard Regel 1852 in Zürich gegründete «Gartenflora» ermöglichte einen länderübergreifenden Wissensaustausch zwischen Fachpersonen und interessierten Laien aus den deutschsprachigen Ländern und Russland sowie darüber hinaus.
Pflanzen waren nicht nur eines der ersten globalen Handelsprodukte einer entstehenden Konsumgesellschaft, sondern auch Statussymbol für jene, die sich den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand leisten konnten. Exklusive Neuheiten wurden vor allem im aufstrebenden Bürgertum nachgefragt. Die in Gärten und Parks rasch wechselnden Pflanzenmoden waren ein sichtbares Zeichen der fortschreitenden Globalisierung. Mit seinem Angebot erreichte der Botanische Garten Zürich über 1’200 Kundinnen und Kunden in ganz Europa.
Mit einem sicheren Gespür für die sich bietenden Möglichkeiten und durch vorausschauende Kommunikationsstrategien profitierte der Botanische Garten Zürich über ein halbes Jahrhundert von der Symbiose zwischen Geschäft und Bildungsanstalt. Er kompensierte so die geographischen Nachteile der Schweiz gegenüber den grossen europäischen Handels-, Wissenschafts- und Gartenbauzentren und etablierte sich zu einem wichtigen Drehkreuz im globalen Pflanzenhandel des 19. Jahrhunderts.
Dunja Richter ist Landschaftsarchitektin und Gartenhistorikerin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studienkoordinatorin des Master of Science in Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich. Ihre im September 2020 abgeschlossene Dissertation «Von der Rarität zur Alltagskultur. Der Botanische Garten Zürich und sein Beitrag zur Verbreitung neuer Pflanzen im 19. Jahrhundert» wurde von Prof. Christophe Girot an der ETH Zürich und Prof. Dr. Norbert Kühn an der TU Berlin betreut.