David Kaufmann ist für die nächsten zwei Jahre neuer Direktor des Netzwerks Stadt und Landschaft (NSL). Seine Prioritäten sind die Stärkung der ETH Zürich im Bereich der nationalen und internationalen Stadtforschung sowie die Förderung von Synergien zwischen den Stadtforschungsgruppen der ETH in Forschung, Lehre und Engagement für die Gesellschaft.
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Wie können wir die internationale Forschungsexzellenz des NSL weiterhin fördern und gleichzeitig die Verbindung zur Schweiz stärken?
Forschung in der Schweiz und internationale Relevanz schliessen sich nicht aus. Die Schweiz ist urban und urbanisiert sich weiter. Viele Urbanisierungsthemen von globaler Relevanz können in der Schweiz untersucht werden (z. B. Klimaanpassung, Kreislaufwirtschaft oder Verdichtung). Allerdings ist Stadtforschung auch stark kontextspezifisch. Das Ziel ist es, Forschung an verschiedenen Orten weltweit durchzuführen und gleichzeitig die globale Relevanz der Erkenntnisse zu beachten.
Die grosse Stärke des NSL ist der aktive Dialog mit der Gesellschaft durch verschiedene Veranstaltungen sowie die Kommunikation durch Plakate und Newsletter. Im Durchschnitt organisieren und co-finanzieren wir jedes Jahr etwa 60 Veranstaltungen, darunter Diskussionen, Ausstellungen, Buchvernissagen und mehr. Wir arbeiten für die Gesellschaft und haben den Anspruch, relevante Lösungsansätze für aktuelle urbane Probleme anzubieten. Das NSL leistet damit einen wesentlichen Beitrag für die gesamte ETH Zürich und verfügt gleichzeitig über eine lokale und globale Reichweite.
Die Zusammenarbeit mit beispielsweise dem Future Cities Laboratory (FCL Global) oder mit anderen Departementen und Institutionen ist ein wesentlicher Bestandteil der Forschungs- und Lehrstrategie des NSL. Könnten Sie weitere Einblicke in diese Partnerschaft geben und wie sie sich in den kommenden Jahren entwickeln wird?
Wir müssen Synergien fördern und zu viel Fragmentierung innerhalb der ETH Zürich vermeiden. Das FCL Global ist ein Forschungsprogramm von globaler Relevanz. Unser Ziel ist es, die Verbindung zwischen NSL und FCL Global zu intensivieren, da viele Forscherinnen und Forscher in beiden Netzwerken tätig sind. Dies beinhaltet ausdrücklich die Förderung der interdisziplinären Forschung und die Auseinandersetzung mit zukunftsorientierten Themen wie ökologische, soziale und digitale Aspekte der Urbanisierung.
Im Bildungsbereich verfügt das NSL bereits über mehrere gut funktionierende und hochwertige Programme, darunter 7 Bachelor-/Masterprogramme, 5 CAS/MAS-Programme und ein Doktoratsprogramm. Dennoch ist es entscheidend, über die Zukunft der interdisziplinären universitären Bildung nachzudenken. Das Gebiet der Stadtforschung ist in der Schweizer Hochschullandschaft noch nicht gut genug etabliert. Es gibt nur sehr wenige Programme und keine Konferenzen oder akademische Vereinigungen. Andere Länder sind da deutlich weiter, obwohl die Schweiz stark urbanisiert ist. Das Selbstverständnis einer urbanen Schweiz fehlt noch immer.
Ich denke, dass die ETH Zürich und der gesamte ETH-Bereich dazu beitragen sollten, interdisziplinäre Stadtforscher:innen in der Schweiz auszubilden. Innerhalb des NSL diskutieren wir Ideen zur Einführung eines neuen Masterstudiengangs in Städtebau und Stadtentwicklung. Dies erfordert die Zusammenarbeit zwischen den ETH-Departementen ARCH & BAUG, aber auch allen urbanen Forschungsgruppen sowie mit der EPFL und anderen Schweizer Universitäten.
Inwiefern ist Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil der NSL-Aktivitäten, und was könnten wir besser machen?
Nachhaltigkeit ist ein bedeutendes und allgegenwärtiges Thema in nahezu allen Forschungs- und Lehrprojekten des NSL. Wir können jedoch internationale Erkenntnisse, Konzepte und Paradigmen noch aktiver gestalten. Wir können beispielsweise unsere Verpflichtung zu den Sustainable Development Goals (SDGs) noch expliziter machen. Darüber hinaus gibt es moderne Nachhaltigkeitsparadigmen, die wir anwenden, testen und weiterentwickeln sollten. Ein Beispiel ist die Orientierung an planetarische ökologische Grenzen mit der Verknüpfung von sozialen Mindeststandards (z.B. der Sustainability Doughnut). In solchen zeitgemässen Diskussionen zur nachhaltigen Stadtentwicklung könnte die ETH Zürich eine stärkere globale Präsenz haben.
Ihre eigene Forschungsgruppe trägt den Namen Raumplanung und Stadtpolitik (SPUR). Wie sehen Sie die Verbindung zwischen der SPUR-Forschung und den übergeordneten Zielen und Prioritäten des NSL?
Wir haben unsere Bemühungen ganz auf die nachhaltige Stadtentwicklung ausgerichtet, mit dem Schwerpunkt, wie solche Transformationen demokratisch sein können und nicht soziale Ungleichheiten weiter verschärfen oder diese sogar zu verbessern. Dies sind äusserst aktuelle Themen sowohl auf lokaler wie auch auf globaler Ebene. Es gibt viel zu tun und es besteht eine grosse Nachfrage nach Forschungsarbeit. Wir müssen schnell auf den Klimawandel reagieren, ohne einen technokratischen Ansatz zu verfolgen, sondern eine faire und soziale Transformation anstreben.
In diesem Zusammenhang haben wir kürzlich Forschung in acht europäischen Städten durchgeführt und gezeigt, dass die Bevölkerung nachhaltige Entwicklung unterstützt, aber nur wenn soziale Fragen wie Chancengleichheit, wirtschaftliche Sicherheit und Einkommensungleichheit berücksichtigt werden. Oder unsere internationale Forschung zur Verdichtung, dass eine stärkere Akzeptanz der Verdichtung erreicht werden kann, wenn sie durch soziale Massnahmen wie Mietpreisregulierung oder die Bereitstellung von sozialem und gemeinnützigem Wohnraum begleitet wird.
Wie beeinflusst Ihr persönlicher Hintergrund Ihre Arbeit?
Ich stamme aus einem nicht-akademischen Umfeld. Niemand in meiner Familie hat einen Universitätsabschluss. Meine Eltern haben eine berufliche Ausbildung absolviert, und auch ich habe eine Lehre gemacht, bevor ich die Matura nachgeholt habe. Glücklicherweise verfügt die Schweiz über ein hochwertiges und durchlässiges Bildungssystem. Ich verdanke meine berufliche Laufbahn den Menschen, die im Bildungsbereich tätig sind sowie den ausgezeichneten Bildungsstrukturen der Schweiz. Daher bin ich bestrebt, etwas zurückzugeben und mich motivieren Themen im Zusammenhang mit globaler sozialer (Un)Gleichheit.
David Kaufmann ist Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik an der ETH Zürich. Er ist Stellvertretender Vorsteher des Instituts für Raum- und Landschaftsentwicklung und Leiter des Netzwerk Stadt und Landschaft (NSL). Er ist ein Stadtwissenschaftler mit Interesse an Planung, Politik und Migrationsstudien. Seine Forschungsmotivation besteht darin, durch Politikgestaltung und Planung eine nachhaltige, demokratische und gerechte Stadtentwicklung zu verstehen und dazu beizutragen.