Der Klimawandel beschleunigt die Veränderung der Alpen. Dabei entstehen «neue Landschaften», die zahlreiche Potentiale bergen, zumal die Alpen keinen abgeschotteten Raum darstellen, sondern eng mit dem westeuropäischen Kontinent verwoben sind. Die aktuelle Debatte ist indes geprägt von Einzelinteressen, was ein koordiniertes Handeln verunmöglicht. Ein übergeordnetes Bild der Alpen, das unterschiedliche und differenzierte Raumprofile benennt und sorgfältig orchestriert, ist daher zwingend notwendig.
Der Klimawandel verändert den Alpenraum und verstärkt Nutzungskonflikte
Der Alpenraum befindet sich im Zuge der Klimaveränderung in einer umfassenden und beschleunigten Metamorphose. Die einstige Vorstellung der physisch und ideell stabilen Alpen löst sich auf und wandelt sich zu einem neuen Bild, das deren Fragilität offenbart. Dieses Bild formte sich ab 1987 mit den verheerenden Hochwassern und verstärkte sich durch die zunehmende Intensität und Häufigkeit von Hochwassern, Murgängen, Hangrutschungen und Steinschlägen. Gleichzeitig gewinnen die Potentiale alpiner Landschaften an Bedeutung: erneuerbare Energien, Frischwasser, biologische Ressourcen und Sommerfrische sowie die in den nächsten Jahrzehnten durch den Gletscherrückzug entstehenden «neuen Seen», wecken Begehrlichkeiten. Die heutigen Nutzungsansprüche werden sich im Zuge des Klimawandels verstärken und bergen ein grosses Konfliktpotenzial. Deshalb ist eine übergeordnete nationale Schutz- und Nutzungsplanung dringend notwendig, also eine räumliche Profilierung des Alpenraums jenseits administrativer Grenzen. Weder das «Raumkonzept Schweiz» noch die Studie «Die Schweiz – Ein städtebauliches Portrait» bieten dazu entsprechende Leitlinien. Daraus resultiert die paradoxe Situation, dass konkrete Vorhaben immer nur am Einzelfall verhandelt und beurteilt werden und ihre Einordnung in einen übergeordneten räumlichen Kontext weitgehend fehlt.
Raumprofile entwickeln
Ein geplantes Projekt will zur räumlichen Profilierung des Alpenraums beitragen und mit neuen Bildern den dazu notwendigen Prozess in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik anstossen. Ausgangspunkt bildet die Inwertsetzung der bestehenden Landschaften, deren Potenziale und Stärken es zu profilieren gilt. Darauf abgestützt erfolgt – in Szenarien – eine räumliche Gliederung des gesamten schweizerischen Alpenraums. In aufeinander abgestimmten und sich ergänzenden Raumprofilen werden die einzelnen Nutz- und Schutzinteressen gegenübergestellt und situativ gewichtet. Diese dringend notwendige Profilierung kann nur über eine nationale Planung realisiert werden, die das Regionale von Anfang an mit einbindet. Die Raumprofile sollen mittels landschaftsarchitektonischer Gestaltungsvorschläge konkretisiert werden. Zudem gilt es, Wege aufzuzeigen, wie eine nationale Planung in einem föderalistischen Setting implementiert werden kann.
Thomas Kissling ist Architekt, Mitarbeiter bei VOGT Landschaftsarchitekten und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Günther Vogt, ETH Zürich.
Prof. Dr. h.c. Günther Vogt ist Landschaftsarchitekt, Inhaber von VOGT Landschaftsarchitekten und Professor für Landschaftsarchitektur am Departement Architektur der ETH Zürich
Prof. em. Dr. Rolf Weingartner ist Geograf, emeritierter Professor für Hydrologie an der Universität Bern und Mitinhaber von ecosfera.