Der Mensch ist ein Geomorphic Agent. Als bedeutendster Faktor in den formbildenden Prozessen der Erde bewegen wir heutzutage weit mehr Material als sämtliche natürliche Prozesse zusammen. Die vom Menschen verursachten Erdbewegungen gehören zu den grössten landschaftsplanerischen, gestalterischen und ökologischen Herausforderungen der Zukunft.
Das Abbauen, Transportieren und Deponieren von Roh- und Abfallstoffen hat im 21. Jahrhundert beispiellose Dimensionen erreicht, die sämtliche bisherigen Massstäbe sprengen. Kiese, Sande und Erden – von Menschenhand in gigantischen Mengen bewegt – stellen gegenwärtig die grössten Materialflüsse der Erde dar. Alleine in der Schweiz erzeugt jede Person unwissentlich rund 8 Tonnen Kies- und Sandabbau sowie 7 Tonnen Aushub und Bauschutt pro Jahr. Gesamthaft generiert die Schweizer Bevölkerung einen jährlichen Materialaufwand von rund 360 Mio. Tonnen, was 47 Tonnen pro EinwohnerIn und Jahr bzw. 130 Kilogramm pro EinwohnerIn und Tag entspricht. Die damit verbundenen Umwälzungsprozesse basieren auf einem globalen Netzwerk von Verkehrs-, Energie- und Sozialinfrastrukturen und stehen sinnbildlich für die fortschreitende Urbanisierung der Landschaft.
2 m3 Erdbewegung pro Sekunde
Dabei stellt der weltweit exponentiell steigende Materialfluss und -konsum nebst wirtschaftlichen, räumlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen auch grundsätzlich unser Verständnis und Umgang mit Landschaft in Frage. Die hiesige politische und gesellschaftliche Diskussion über Landschaft dreht sich jedoch hauptsächlich um die ‚Zersiedelung’ und die ‚Zerstörung’ von Kulturland mit der Geschwindigkeitsformel von 1 m2 pro Sekunde. Gleichzeitig werden die weitaus signifikanteren, rund 2 Kubikmeter Erdbewegung pro Sekunde unverständlicherweise ignoriert. Dies ist umso erstaunlicher als dass ein Drittel dieser grossen Mengen an Erde, Kies und Sand, welche in kurzer Zeit verlagert werden, als unbrauchbarer Aushub anfällt und somit sichtbare Spuren in der Landschaft hinterlassen. Nebst erheblichen Emissionen hat dies zur Folge, dass Deponieplätze knapp werden und künstliche Terrainveränderungen die Schweizer Raumplanung und -politik zukünftig weit mehr beschäftigen werden.
Wir brauchen einen Diskurs
Noch dominiert in der Schweiz ein sehr statisches und protektionistisches Bild von Landschaft. Als Landschaftsarchitekten und -Planerinnen ist es deshalb unsere Aufgabe, die Materialökologie im Allgemeinen und die anthropogenen Erdbewegungen im Spezifischen als zentralen Bestandteil von Urbanisierungsprozessen zu verstehen und die damit verbundene absichtliche und unabsichtliche Produktion von Landschaft durch Rohstoffgewinnung, -transport und -entsorgung in den Fokus des städtischen Diskurses zu rücken. Nur so können neue Ansätze, Konzepte und Lösungen entwickelt werden, die adäquat mit der Entwicklung und Gestaltung von Landschaft umgehen.
Daia Stutz Steppacher ist wissenschaftlicher Assistent an der Professur von Günther Vogt für Landschaftsarchitektur. Geomorphic Agent ist ein Schwerpunkt seiner mehrjährigen Forschungs- und Lehrtätigkeit am Lehrstuhl.
Bild: Aushub-Deponie des Alptransit Gotthard Basistunnels bei Biasca, Tessin. Quellenangabe: © AlpTransit Gotthard AG