Die Debatte um Dichte in der Schweiz ist nicht neu. Tatsächlich ist sie älter und stärker verwurzelt im Fachdiskurs als oft angenommen wird: sie entbrannte stets in Phasen starken Bevölkerungswachstums, das oft mit der unkontrollierten Zersiedelung des Kulturlandes und erhöhter Landspekulation einherging. Noch bevor das Wort «Dichte» im Diskurs Einzug hielt, entstanden bereits radikale Ideen und Projekte um dem Problem der wachsenden Bevölkerung und dem Druck auf Stadt und Land entgegenzutreten. «Projects on Territory», Wahlfach am Departement Architektur, zeigte dazu eine Auswahl Entwürfe aus der Schweizer Planungsgeschichte des letzten Jahrhunderts.
Diese Auswahl stellt keine abschliessende Sammlung dar, sondern repräsentiert vielmehr eine Anthologie verschiedener Momente der Geschichte. Obwohl die ausgewählten Projekte vor unterschiedlichen ideologischen Hintergründen und Absichten entstanden, setzen sie sich alle mit der rapiden Urbanisierung des Schweizer Territoriums auseinander. Interessant dabei ist, dass diese Projekte trotz ihres historischen Ursprungs heute noch genauso relevante Positionen darstellen. Sie offenbaren ein tiefgreifendes Verständnis von Verdichtung und zeichnen eine beziehungsreiche Vision von Dichte und Raum.
1924–30 Hirzbrunnenquartier
Hans Bernoulli
Land als Allgemeingut
Das Genossenschaftsprojekt am damaligen Stadtrand von Basel auf öffentlichem Grundeigentum kann als Modellentwurf zu seinen Thesen in «Die Stadt und ihr Boden» gelesen werden. Darin tritt er für eine Bodenreform ein, die der öffentlichen Hand das alleinige Recht der Stadtentwicklung und Bebauung zugesteht.
1935–1936 Richtplan des Grossraums Genf
Maurice Braillard
Die Stadt im Territorium Verankern
Das intellektuelle Umfeld des «Geneve Rouge» in den frühen 30er Jahren brachte radikale politische Visionen hervor, die sich in diesem städtebaulichen Entwurf niederschlugen. Dabei überwand er die klassische Dichotomie von Stadt und Land und zeichnet eine moderne, hybride Stadt, in der Wohnen, öffentlicher Raum und Landwirtschaft eng miteinander verwoben sind.
1941, 1944 Dezentralisierte Grossstadt
Armin Meili
Die ganze Schweiz als eine Stadt
Im Pamphlet «Landesplanung in der Schweiz» skizzierte Meili die Vision einer punktuellen, metropolitanen Verdichtung im Schweizer Mittelland. Dabei soll der unkontrollierte Verbrauch von Kulturland verhindert werden indem neue Satellitenstädte für jeweils 10-13’000 BewohnerInnen errichtet werden, die über ein ausgebautes Autobahnnetz effizient verknüpft werden.
1930 Werkbundsiedlung Neubühl
Paul Artaria, Max Ernst Haefeli, Carl Hubacher, Werner Max Moser, Emil Roth, Hans Schmidt, Rudolf Steiger und Friedrich T. Gubler
Inseln der Dichte in der Peripherie
Die Typologie der modernen Siedlungen entstand als Antwort auf den gesteigerten Bedarf an Wohnungsraum in den 30er Jahren und den technischen Errungenschaften des «Neuen Bauens. Neubühl wurde als Mustersiedlung des Schweizer Werkbundes entworfen und auf günstigem verfügbarem Land ausserhalb der Stadt gebaut. Sie bot einer wachsenden Bürgerschicht komfortables Wohnen im Grünen mit allen Vorzügen eines modernen Haushaltes. Neubühl ist keine isolierte Insel, sondern muss als Teil eines Siedlungsarchipelago und damit als territoriale Strategie der Stadterweiterung verstanden werden.
1955 Die Neue Stadt
Max Frisch, Lucius Burckhardt, Markus Kutter & ETH Gruppe von Prof. E. Egli
Satellitenstädte versus Zersiedelung
1955 veröffentlichen Max Frisch, Lucius Burchardt und Markus Kutter das Manifest «achtung: die Schweiz», eine Warnung vor der zunehmenden Zersiedelung und ein Plädoyer für eine neue und besser kontrolliert Stadtentwicklung in der Form von verdichteten Siedlungen. Ihre Ideen werden 1961 von einer Gruppe an Fachleuten (ETH Prof. E. Egli, W. Aebli, E. Brühlmann, R. Christ und E. Winkler) weiterentwickelt. Die daraus hervorgehende Studie «Die neue Stadt. Eine Studie für das Furttal» skizziert eine neue Satellitenstadt in der von Zersiedelung betroffenen Peripherie Zürichs.
1978 Die Stadt Zürich
Aldo Rossi
Die Rückkehr zur Stadt
Während seiner Zeit als Professor an der ETH Zürich beeinflusste Aldo Rossi eine ganze Generation von Studierenden. Als Gegenentwurf zum modernistischen «tabula rasa» Ansatz, konzentrierte sich seine Lehre auf das Arbeiten mit dem umzubauenden oder zu erweiternden historischen Bestand. Rossi liess die Studierenden die Züricher Altstadt mit all ihren Gebäuden, Artefakten und Strassen ausmessen und in einem grossen Plan zusammentragen. Diese Hinwendung zur Altstadt führte dazu, dass die aufkommenden Transformationen ausserhalb des Stadtzentrums aus dem Blick gerieten…
1990-2010 Glattalbahn
Die Vorstadt Nachrüsten
Das Glattal absorbierte Jahrzehnte lang den Wachstumsdruck der Metropolitanregion Zürich ohne dabei ins Augenmerk der Stadtplanerinnen und Stadtplaner zu rücken. Der Bau des Flughafens und der Autobahn in den 50er und 60er Jahren liess ein zerstreutes Stadtgewebe aus Industriebauten und Einfamilienhausquartieren entstehen. Demgegenüber entstand mit der Glattalbahn Ende der 90er ein interkommunales Projekt, das die innere Verdichtung vorantreiben und die Abhängigkeit von privater Mobilität verringern sollte.
1806-2013 Linth und Limmat
Eine Geschichte von Landschaftsformen
Die Flüsse Linth und Limmat sind Teil des gleichen Flusssystems und sind durch jahrhundertelange, menschliche Eingriffe eng miteinander verbunden. Die Meliorationen der Linthebene durch den Kanalbau ab 1806 schuf neue Landwirtschaftsflächen und ermöglichte die Stabilisierung des Wasserpegels des Zürichsees. Damit wurde die Voraussetzung für die Hinwendung der Stadt zum See und eine Entwicklung entlang der Limmat geschaffen.
Während zeitgenössische Planungspraktiken sich ausschliesslich auf die innere Verdichtung konzentrieren, zeigt die Geschichte von Linth und Limmat eine Alternative auf: Eine Haltung, in der Landschaftsformen und urbane Systeme Teil einer gesamthaften, territorialen Komposition werden. Dabei spielen unterschiedliche Formen von urbaner Intensität eine strategische Rolle bei der Gestaltung neuer, territorialer Narrative.
Dieser Beitrag wurde im Rahmen der Wahlfacharbeiten zu «Projects on Territory» erstellt und war Teil der Ausstellung DICHTELUST im Schweizerischen Architekturmuseum, November 2018 – Mai 2019. Das Wahlfach wurde von den Professoren Marc Angélil und Milica Topalovic über einen Zeitraum von drei Semestern gemeinsam durchgeführt. Es wurde von Metaxia Markaki in Zusammenarbeit mit Ferdinand Pappenheim und Sascha Delz mit Unterstützung der Siebdruckkünstlerin Esther Schena und dem Dynamo Workshop in Zürich organisiert und unterrichtet. Besonderer Dank gilt unseren studentischen Hilfskräften Michiel Gieben und Oliver Burch und allen teilnehmenden Studierenden.