Was sind die Dynamiken und wie verändern die Leute den Raum mit ihrer Wohnstandortwahl, mit ihrem Verkehrsverhalten, mit ihrer Freizeitgestaltung? Das Thema Raumplanung ist abstrakt und man muss oft erklären was es ist. Eine Wanderausstellung soll deutlich machen, warum man Raumplanung braucht. Wir haben die Organisatorin, Dr. Martina Koll-Schretzenmayr zu DARUM Raumplanung befragt.
NSL-Newsletter: Warum braucht es eine Ausstellung über Raumplanung?
Martina Schretzenmayr: Die bereits getroffenen und die noch anstehenden politischen Entscheide über raumplanerische Themen haben die Raumplanung verstärkt in die Medien gebracht. Erfreulicherweise vergeht augenblicklich keine Woche ohne einen Medienbeitrag zur Raumplanung. Die anstehenden Entscheide und die Medienpräsenz bringen aber auch ein wachsendes Informationsbedürfnis der Bevölkerung zu diesem Thema mit sich. Diesem Bedürfnis möchten die ETH Zürich und der SIA mit der Wanderausstellung DARUM Raumplanung nachkommen.
Weshalb entschied sich die Organisation eine Wanderausstellung durchzuführen?
Wir liessen uns von der Idee des Migros-Wagens inspirieren: die Ausstellung soll zu den Leuten, nicht die Leute zur Ausstellung. So haben wir eine Ausstellung, die alle Landesteile bereist, die durchgehend dreisprachig deutsch, französisch, italienisch konzipiert ist und die in grossen, mittleren und auch kleinen Städten auf öffentlichen Plätzen die Bewohnerinnen und Bewohner erreicht. Wir möchten die Raumplanung zu den Leuten bringen.
Raumplanung ist eher eine trockene Angelegenheit, sehr sperrig, sehr komplex. Wie kann man das den Leuten näher bringen?
Die Ausstellung zeigt auf, dass Raumplanung von Landschaft schützen über Schutz vor Naturgefahren bis zur Schaffung von Lebensqualität reicht. Anhand einzelner Themen und anhand von Beispielen aus allen Landesteilen bringen wir den Besucherinnen und Besuchern näher was Raumplanung ist, was sie will, was sie erreichen kann und dass Raumplanung uns alle angeht. Von Anfang an waren wir davon überzeugt, dass sich die Ausstellung auf audiovisuellen Medien abstützen soll.
Warum wählt die Ausstellung einen starken audiovisuellen Zugang über Filme? Was erhofft man sich dadurch? Rechtfertigt sich der Aufwand einer Filmproduktion?
Durch meine Recherchen zur Raumplanungsgeschichte unter anderem in trockenen Aktenbeständen des Bundesarchivs entstand bei mir der Wunsch, die damaligen AkteurInnen auch als Person wahrnehmen zu können. Ich begann nach Radio- und Fernsehbeiträgen zu suchen und war überrascht, welche Faszination und welch guten Zugang zum Thema diese audiovisuellen Materialien bei mir und auch bei Personen, denen ich das vorspielte, bedeutet. Informationsvermittlung über Film ermöglicht eine hohe Informationsdichte und ist auch in der Lage Emotionen zu vermitteln. Der Lebensraum ist uns nicht nur Heimat sondern berührt uns im physischen wie im emotionalen Sinne. All das was draussen ist, die Bäume und Häuser, kann man anfassen. Eine Landschaft, die man sieht, berührt auch emotional. Im positiven Sinne oder wenn man sagt «Oh, das ist aber hässlich». Man nimmt den Lebensraum durch Filmsequenzen wahr und spürt eine gewisse Vertrautheit, so dass man sagen kann «sowas kenne ich auch, das geht mich etwas an».Wir möchten, dass die Besucherinnen und Besucher diesen Lebensraum spüren und sich davon ausgehend auf ein Nachdenken über dessen Zukunft einlassen. Mit dem Filmemacher Rolf Günter hat sich eine wunderbare Zusammenarbeit für die Filme, die wir für die Ausstellung produziert haben, ergeben. Er hat uns davon überzeugt, dass die Informationsvermittlung ausschliesslich in der direkten Ansprache an den Betrachter über Interviews geschehen soll. Die Interviewten stehen dabei draussen im Lebensraum – und nicht in ihrem Büro vor einer sterilen Bücherwand. Das Medium Film haben wir aber auch gewählt, weil man hierüber sehr gut einen Eindruck über die Dynamik der Raumentwicklung vermitteln kann. Es ist uns gelungen in Kooperation mit Memoriav, Cinématèque und dem Schweizer Fernsehen eine Auswahl von historischen Filmen präsentieren zu können, die aufzeigen wie die Schweiz vor 30, 40 oder 50 Jahren aussah. Das lässt uns einen Eindruck gewinnen, welche räumliche Dynamik die Zukunft bringen kann. Das sensibilisiert für Veränderung und für die Herausforderungen der Steuerung dieser Veränderung. Neben den Filmen tritt die Ausstellung auch konventionell mittels Texten an die Besucherinnen und Besuchern heran um Informationen und Zusammenhänge zu vermitteln.
Versteht man als Laie überhaupt, wovon die Expertinnen und Experten im Film sprechen?
Die ExpertInnen sprechen die Besucherinnen und Besucher direkt an. Durch die Filme beobachtet man zum Beispiel die Naturgefahr Lawine hautnah. Es wird nicht nur gesagt, wieviele Tonnen Schnee in Bewegung sind, sondern die Naturgewalt kommt im Film unmittelbar auf die Betrachtenden zu. An jedem Ausstellungsstandort gibt es ergänzend einen «Regio Flash». Das jeweilige kantonale Planungsamt zeigt auf zwei Plakaten an den Flügeltüren des Containers was betreffend Raumplanung im Kanton aktuell ist. Gibt es Projekte aus der Region oder wird vielleicht gerade ein kantonaler Richtplan revidiert oder entsteht ein Agglomerationsprogramm? Wir treten auf diese Weise an die Besucherinnen und Besucher mit ihrer vertrauten Umgebung heran, mit dem Lebensraum, den sie gut kennen.
Was möchte die Wanderausstellung bei den Besucherinnen und Besuchern auslösen? Sollen sie von ihrem Wunsch wegkommen, ein Einfamilienhaus auf einer grünen Wiese zu haben?
Mit einem «Einfamilienhäuser sind böse und alle, die in Einfamilienhäusern wohnen, sind auch böse» kommt man keinen Schritt weiter in der Diskussion. Wir versuchen den Leuten einen gewissen Einblick in die Grundmechanismen der Raumplanung zu vermitteln, in die Zusammenhänge. Wenn ich irgendwo wohne, muss ich irgendwie zu meinen unterschiedlichen Aktivitäten kommen. Davon hängt mein Mobilitätsverhalten ab, hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl aber auch hinsichtlich der Distanzen die zurückgelegt werden müssen. Wir zeigen auch auf, wie Siedlungsentwicklung, Infrastrukturausbau und langfristige Infrastrukturkosten miteinander zusammenhängen. Im Moment wird viel von Verdichtung geredet und dies wird von vielen als Bedrohung empfunden. Wir zeigen anhand von Basel-Nord, einem der dichtesten Wohnquartiere in der Schweiz, welche Qualitäten städtisches Wohnen bieten kann. Die Nordtangente wurde in Basel in den Untergrund verlegt und extrem viel in die Freiräume investiert. Neue Parkanlagen entstanden, der Stadtraum wird plötzlich neu wahrgenommen. In Lausanne-West sind die Industriebrachen das Thema. Dort knüpft man an die Geschichte dieser Orte an, so dass man sie noch sieht und erlebt, auch wenn es neue Quartiere sind. Damit so etwas entstehen kann, müssen Raumplaner, Städteplanerinnen und Bauherren über ihre Gründstücksgrenzen hinaus denken und sehen, dass sie Teil von etwas Grösserem sind. Es muss zu einem Miteinander von öffentlicher Hand und von privaten Investoren kommen, damit man Stadtquartiere gemeinsam entwickeln und so Lebensqualität schaffen kann. Die Bevölkerung kann über viele planungsrelevante Themen abstimmen und bei partizipativen Verfahren ihre Meinung zu Projekten abgeben und so mitgestalten.
Wen möchte die Ausstellung ansprechen?
Die Ausstellung möchte die breite Bevölkerung informieren. Ein besonderes Anliegen ist uns auch die junge Generation. Wir entscheiden heute nicht nur über unseren Lebensraum sondern auch über den Lebensraum aller künftigen Generationen. Raumplanerische Entscheide und räumliche Veränderung haben lange Verzugszeiten und hohe Persistenz. Die Gestaltung des Lebensraumes hat viel zu tun mit Bedürfnissen, Wünschen, Vorstellungen von Lebensgestaltung und Werthaltungen. Daher ist es wichtig bereits die Jungen zu sensibilisieren. Deshalb bieten wir auch Lehrmaterial und Führungen für Schulen an. So lernen die Kinder und Jugendlichen nicht nur Strom sparen, Wasser sparen, sondern auch «Fläche sparen».
Das Interview mit Dr. Martina Koll-Schretzenmayr führten Claudia Gebert und Philipp Neff.
Link zur Ausstellungswebseite mit den Standorten der Wanderausstellung DARUM Raumplanung.