Am 24. November wurde über den «Ausbauschritt 2023 des Bundes für die Nationalstrassen» abgestimmt. Er umfasst sechs Grossprojekte, darunter die Verbreiterung der Autobahn A1 zwischen Bern und Nyon sowie drei neue Tunnels in Basel, Schaffhausen und St. Gallen. Bryan Adey, Professor für Infrastrukturmanagement, und Arnór Elvarsson, wissenschaftlicher Mitarbeiter, haben den Schweizer Infrastrukturplanungsprozess von der Frühphase bis zur Fertigstellung des Projekts untersucht.
Obwohl das Parlament im vergangenen Jahr die notwendigen Beschlüsse verabschiedet hat, wurde der Ausbauschritt mit 52,7 % der Stimmen abgelehnt, womit der Parlamentsbeschluss rückgängig gemacht wurde und die Projekte nicht realisiert werden können.
Gemäss den Erläuterungen des Bundesrates vor der Volksabstimmung wurden die Projekte entwickelt, um die Frachtkosten zu senken, die Verspätungskosten für die Autofahrenden zu reduzieren und die Zahl der Verkehrsunfälle zu verringern. Die Gegner:innen wiesen darauf hin, dass verbesserte Strassen aufgrund der besseren Erreichbarkeit zu mehr Verkehr führen, mehr des ohnehin schon knappen Platzes beanspruchen, die Luft- und Lärmbelastung erhöhen und zu mehr Kohlenstoffemissionen führen.
Herr Prof. Adey, was motiviert Sie und Ihre Gruppe, sich mit Infrastrukturplanung und den damit verbundenen Prozessen zu beschäftigen?
Bryan Adey: Unsere Verkehrsinfrastruktursysteme für Strasse und Schiene waren wichtige Bausteine für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Wohlstand in den letzten rund 150 Jahren. Ihr kontinuierlicher, rechtzeitiger Ausbau ist wichtig, damit sie auch weiterhin den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht, z. B. um Reiseverzögerungen zu minimieren. Die Erfüllung dieser Anforderungen kann angesichts der wachsenden Bevölkerung, der Einführung neuer automatisierter Fahrtechnologien sowie der Neubewertung der Anforderungen an ein Infrastruktursystem eine Herausforderung sein. Einer der Hauptgründe, die uns zur Untersuchung von Infrastrukturplanungsprozessen motiviert haben, ist die Tatsache, dass diese Prozesse sehr lange dauern können. Das ist gut, weil die Gesellschaft sicherstellen will, dass die Planenden alles richtig machen. Gleichzeitig möchte die Gesellschaft aber auch sicherstellen, dass die Planenden die richtigen Massnahmen schneller treffen.
Arnór Elvarsson: Wenn ich mich anschliessen darf: Unabhängig davon, ob man mit dem Ergebnis dieses Referendums einverstanden ist oder nicht, ist es eine Tatsache, dass es die Entwicklung der Autobahninfrastruktur in den betroffenen Regionen verlangsamen wird.
Das kürzlich durchgeführte Referendum zur Ablehnung der Finanzierung von Autobahnprojekten war eine knappe Entscheidung. Welchen Grund sehen Sie als ausschlaggebend?
Bryan Adey: Alle Planenden wollen ihre Systeme verbessern, um den Bedürfnissen der Gesellschaft besser gerecht zu werden. Um dies zu erreichen, ist der Ausbauschritt einer der wichtigsten Meilensteine im nationalen Infrastrukturplanungsprozess, weil er den Projekten, die zur Erfüllung der strategischen Ziele des Bundes geplant wurden, finanzielle Mittel und einen Zeitplan zuweist. Kurz gesagt wurde der Ausbauschritt abgelehnt, weil die Wählerschaft mit den Projekten unzufrieden war und fand, dass sie ihren Bedürfnissen nicht gerecht wurden.
Arnór Elvarsson: Dem stimme ich zu. Es gab Kritik an der Wirksamkeit der Projekte, d.h. dass die Verkehrsüberlastung nicht behoben werden würde. Und es gab Meinungsverschiedenheiten über die Umweltauswirkungen der Projekte. Die Projekte, die aus dem Planungsprozess hervorgehen, müssen den Vorschriften entsprechen, im Parlament mehrheitsfähig sein und einen breiten Konsens unter den betroffenen Akteursgruppen finden. Die Ausbaupläne wurden nicht angenommen, weil die Mehrheit der Meinung war, dass diese Anforderungen nicht vollständig erfüllt werden.
Warum sind die Planungsprozesse nicht in der Lage, Projekte hervorzubringen, die diesen Anforderungen entsprechen?
Bryan Adey: Die Konsensbildung ist für Planende sehr schwierig, wenn sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse während der langen Planungsdauer ständig ändern.
Arnór Elvarsson: Im Fall des Referendums über die Nationalstrasseninfrastruktur zeigt der öffentliche Meinungsaustausch, dass die Wählerinnen und Wähler die Strasseninfrastruktur als nicht nachhaltige Lösung ansehen. Das ist keine neue Diskurslinie, aber es ist neu, dass dadurch eine öffentliche Mehrheit in geplante Projekte eingreift. Wie Bryan Adey vorhin sagte: Obwohl die Gesellschaft ihre Ansicht zum ‘richtigen Projekt’ ändert, müssen Planende ständig in der Lage sein, sich schnell für das richtige Projekt entscheiden zu können. Es ist klar, dass es nicht praktikabel ist, wenn alle vier Jahre über jede Infrastrukturentwicklung abgestimmt werden muss.
Bryan Adey: Volksabstimmungen sind grundsätzlich wichtig, ja sogar notwendig, wenn es keinen öffentlichen Konsens über Gesetze gibt. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Planungsprozesse angepasst werden können, um einen Konsens besser zu gewährleisten, so dass die Einberufung von Referenden in Zukunft nicht mehr notwendig wäre.
Sie haben darauf hingewiesen, dass die Öffentlichkeit offenbar etwas anderes will, als der Prozess in diesem Fall geliefert hat. Wie können wir also sicherstellen, dass Planungsprozesse dies in Zukunft widerspiegeln?
Arnór Elvarsson: Kurz gesagt, durch eine wirksame frühzeitige Koordination auf strategischer Ebene. Derzeit sind mehrere Planungsorganisationen am Planungsprozess beteiligt, zum Beispiel das Bundesamt für Strassen für die Nationalstrassen und das Bundesamt für Verkehr für die Eisenbahn. Sie haben einen klaren gesetzlichen Planungsauftrag, gemäss den strategischen Zielen in den Sachplänen. Im Falle des Ausbauschrittes 2023 handelte das Bundesamt für Strassen im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages, d.h. es plante, entwickelte und baute die Strassen, für die es zuständig ist.
«Um den Konsens über die Aufgaben der für die Infrastruktur zuständigen Bundesämter weiter zu stärken, wäre eine frühzeitige Koordination erforderlich, um sicherzustellen, dass alle Infrastrukturplanungsorganisationen im Sinne der nationalen Ziele aufeinander abgestimmt sind.»
(Arnór Elvarsson)
Bryan Adey: Ja, eine föderale Organisation wie zum Beispiel das Bundesamt für Raumentwicklung könnte weiter ermächtigt werden, die Aufgaben der Infrastrukturentwicklung und -planung für die verschiedenen Infrastrukturtypen, Strasse und Schiene, zu koordinieren. Eine solche Organisation könnte die strategische Entwicklung der Infrastruktur durch eine Art «Nationales Gesamtmobilitätskonzept» strukturieren. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden, um sicherzustellen, dass die notwendigen Akteure die zeitlichen Abhängigkeiten der verschiedenen Infrastrukturentwicklungen akzeptieren, damit die einzelnen Projekte auf die Ziele einer integrierten Strategie hinarbeiten. Wenn der Ausbauschritt 2023 als Ausbauschritt für die Mobilität unter Berücksichtigung von Strasse und Schiene und der Interessen der verschiedenen Staatsebenen präsentiert worden wäre, wäre dies für die Bevölkerung akzeptabler gewesen.
Vielen Dank für dieses Gespräch und Ihre Einblicke in den Infrastrukturplanungsprozess.
Arnór B. Elvarsson is a doctoral researcher interested in the interactions between process governance and model-based support tools for decision making in infrastructure planning. Arnór is a researcher at the Singapore-ETH Centre and the Infrastructure Management Group of the Institute of Construction and Infrastructure Management, ETH Zürich.
Prof. Dr. Bryan T. Adey is the Head of the Infrastructure Management Group and PI of the Adaptive Mobility Infrastructure and Land-use Module at FCL Global.