Ob in München, Istanbul, London oder Zürich: Landschaften im Einzugsgebiet grosser urbaner Zentren werden durch intensive Erholungs- und Sportnutzungen überformt und umgedeutet. Die bis anhin zumeist informell ablaufenden Aneignungsprozesse treten dabei in Konflikt mit bereits vorhandenen Nutzungen und etablierten formellen Regulativen. Im Zuge dieser Entwicklungen gilt es, die Landschaft als (öffentliche) Ressource neu zu denken und zu verhandeln.
Die historische Koexistenz und räumliche Trennung von bis anhin in die Landschaft eingelagerten Nutzungen (z.B. Landwirtschaft, Verkehr, Militär, Tourismus oder Energieproduktion) löst sich zunehmend auf. An ihre Stelle tritt eine operationalisierte Landschaft, in die im metropolitanen Kontext oftmals auch informelle Erholungs- und Sportnutzungen eingeschrieben sind. Die neuen Formen von «Parks», die dadurch entstehen, sind nicht mehr klar fass- und einordnungsbar, sondern breiten sich temporär und räumlich diffus auf das urbane Territorium aus.
Flüsse werden an Wochenenden zu Event-Zonen für hunderte Gummiboote, Wälder zu multifunktionalen Sportanlagen und Picknick-Areas für tausende von Erholungssuchenden, Kiesgruben werden zu Fun-Parks und Hügelzüge zu Schlittelhängen umfunktioniert. Die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung sind einerseits im Ausbau der Infrastrukturnetzwerke des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der S-Bahn, und andererseits in der oftmals chronischen Übernutzung innerstädtischer Freiräume zu verorten. Die Erholungssuchenden weiten als Folge ihren Aktionsradius auf die schnell erreichbaren und unmittelbar verfügbaren Freizeitlandschaften aus. Dieser Prozess erfolgt oftmals informell und ungeplant; die Menschen nehmen sich den Raum für ihre Aktivitäten, wo und wie sie es für nötig halten.
Wem gehört die Landschaft?
Im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes untersucht die Professur Günther Vogt metropolitane Landschaften, die sich an der Schnittstelle von informeller und formeller Aneignung befinden und durch eine hohe Dynamik und Temporalität der Nutzung gekennzeichnet sind. Ein treffendes Beispiel für dieses Phänomen, das aktuell auch in der breiten Öffentlichkeit besprochen wird (siehe diverse Artikel NZZ, Tagesanzeiger, Limmattalzeitung sowie des ‚Gummibootführers Schweiz’ «Iwona Eberle, 2018») ist die Limmat. Der Raum, der seit jeher als Trinkwasserspeicher, Energiequelle, Verkehrsweg, Badeanstalt, Naturschutzgebiet und Hochwasserschutzzone für die Stadt Zürich funktioniert, wird zunehmend als kilometerlange Freizeitlandschaft in Abhängigkeit zur Saison und zum Wochentag sowie der Tageszeit angeeignet. Die Überlagerung und Verflechtung von teilweise konträren Interessen, die sich oftmals ausschliessen, führt zu Reibungen und Konflikten, die durchwegs positiv und produktiv sein können: Landschaft wird nicht mehr länger nur als ökonomische, sondern vermehrt auch als öffentliche Ressource begriffen, was eine zukünftige Debatte über die Art und Weise der (Be-)Nutzung der Landschaft und die Möglichkeit einer integralen, demokratischen Entwicklung der Landschaft als öffentlicher Raum notwendig macht.
Thomas Kissling (*1980), Lehre zum Innenausbauzeichner, Studium der Architektur an der ETH Zürich, Diplom 2010. Seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Günther Vogt, Institut für Landschaftsarchitektur, ETH Zürich.
Daia Stutz (*1985), Studium der Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Technik Rapperswil sowie Städtebau an der Harvard Graduate School of Design. Seit 2013 wissenschaftlicher Assistent an der Professur Günther Vogt, Institut für Landschaftsarchitektur, ETH Zürich. Seit 2016 Mitinhaber von S2L Landschaftsarchitekten, Zürich.