Prof. Dr. Tom Avermaete | Geschichte und Theorie des Städtebaus
Städtebau als kulturübergreifende Praxis. Das Werk von Michel Ecochard
Die Biographie von Michel Ecochard (1905–1985) liest sich wie eine faszinierende Saga von Wanderungen zwischen Geographien, Kulturen und Fachgebieten. Ecochard war nicht nur in Archäologie, Architektur und Städtebau bewandert, sondern im Verlaufe seiner Karriere auch in all diesen Fachbereichen tätig. Zu seinem beruflichen Aufgabenbereich gehörte ebenso sehr die Bestandsaufnahme historischer Monumente in Syrien wie die Entwicklung von Stadtentwicklungsplänen für mehrere Grossstädte in Afrika oder der Entwurf von Flüchtlingsunterkünften in Karachi.
Der bemerkenswerteste Aspekt von Ecochards Werk ist seine produktive Intertextualität: Perspektiven, Konzepte und Werkzeuge wechseln ständig zwischen den beruflichen Kenntnissen und Kulturen der Archäologie, Architektur und des Städtebaus, um innovative analytische Ansätze und Interventionsstrategien zu entwickeln.
Diese neuen analytischen und projektiven Methoden blieben aber nicht bloss theoretische Unterfangen. Im Gegenteil: Während des grössten Teils seiner Karriere arbeitete Ecochard unter hochgradig angespannten Bedingungen in und für ehemalige Kolonien, die in die Unabhängigkeit entlassen wurden, oder eben erst entstandene Nationalstaaten, auf der Suche nach neuen Modellen der Entwicklung und eigenständigen städtischen Identitäten. Speziell in Afrika und dem Mittleren Osten trug Ecochard zu einer alternativen Auffassung von Architekturdesign und Stadtplanung bei. In einer Zeit der Politik des kalten Krieges, schien er einen anderen Ansatz für die gebaute Umwelt anzubieten, der weder westlichen, noch östlichen Modellen entsprach, sondern statt dessen einen dritten Weg vom – und im – globalen Süden vorschlug.