Anlässlich einer Medienveranstaltung im Januar hat Bundesrätin Leuthard zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden das Raumkonzept Schweiz der Öffentlichkeit vorgestellt. Herr Prof. Dr. Bernd Scholl vom Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung beurteilt das Konzept grundsätzlich positiv. Grenzüberschreitendes Denken, Handeln und Entscheiden sind essentiell, um die zukünftigen Herausforderungen der Raumentwicklung Schweiz meistern zu können.
Eine zentrale Stossrichtung des Raumkonzeptes ist die Begrenzung des Siedlungsflächenwachstums, das derzeit immer noch ein Quadratmeter pro Sekunde beträgt. Um Zersiedelung zu vermeiden, ist «Innen- vor Aussenentwicklung» die Grundstrategie der Wahl. Die Professur für Raumentwicklung beispielsweise beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit diesem Thema und hat 2006 die Initiative Raum+ gestartet. Ziel ist es, eine kantonsweite Übersicht der Potenziale für eine Siedlungsentwicklung nach Innen zu bekommen. Ohne solche Übersichten laufen übergreifende Strategien meist ins Leere. Damit die inneren Potenziale sinnvoll genutzt werden können, sind Gemeinden und Kantone aufgefordert, gemeinsame und tragfähige Perspektiven der Innenentwicklung zu erarbeiten. Behutsame und massvolle Nachverdichtung ist dabei nur ein mögliches Element des zur Verfügung stehenden Repertoires, wie dies in einem Modellvorhaben des Bundes im Kanton Schwyz getestet werden konnte.
Eine weitere Stossrichtung des Raumkonzeptes sind integrierte Lösungen für die zukünftige Raum- und Infrastrukturentwicklung, namentlich im Bereich des Verkehrs. Weil sich die Einzugsbereiche der grossen Zentren infolge der weiteren Differenzierung und Spezialisierung der Arbeitsplätze vergrössern, sind verstärkt kantonsübergreifende Lösungen gefragt. Diese können vor allem durch intelligente Prozesse und Verfahren gefunden werden. Die sogenannten Handlungsräume im Raumkonzept Schweiz widerspiegeln diese Realität. Die Aufgaben sind damit allerdings noch nicht gelöst.
Die Behandlung dieser Aufgabenfelder, die im Raumkonzept Schweiz nur angedeutet werden, liegen auch im ökonomischen Interesse der Schweiz. Die Schweiz steht im Wettbewerb mit leistungsfähigen europäischen und weltweiten Metropolregionen von mindestens drei bis fünf Millionen Einwohnern. Eine übermässige Konzentration einer wahrscheinlich weiter wachsenden Bevölkerung in wenigen Zentren kann nicht die Lösung sein. Vielmehr ist die zweckmässige Weiterentwicklung des Netzes von Städten und Orten, eingebettet in attraktive Kulturlandschaften, für die Qualität der Lebensräume, aber auch für die Wertschöpfung, von ausserordentlicher Bedeutung. Zersiedelung und schlecht integrierte Infrastrukturen laufen dem zuwider.
Dass im Raumkonzept die verschiedenen Staatsebenen zueinander gefunden haben, ist ein ermutigendes Zeichen. Die innere Entwicklung und Erneuerung ist in der Schweiz, vor dem Hintergrund der Revision des Raumplanungsgesetzes und der zur Abstimmung anstehenden Landschaftsinitiative, die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Damit verbundene Aufgaben sind sehr anspruchsvoll, aber auch faszinierend. Den Hochschulen fällt die Aufgabe zu, den wissenschaftlichen Nachwuchs dafür zu begeistern.
Der Entwurf des Raumkonzepts ist nun in der Vernehmlassung: Bundesrat, Kantonsregierungen und die Exekutiven von Städten und Gemeinden, aber auch Parteien, Verbände und weitere Interessengruppen können ihre Stellungnahmen bis Ende Juni 2011 einreichen. Ziel des Raumkonzepts Schweiz ist es, eine von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden akzeptierte Vorstellung der räumlichen Entwicklung zu gewinnen, um den Raum Schweiz gemeinsam dieser Vorstellung entsprechend zu gestalten.
Kontakt: Bernd Scholl, Professor für Raumentwicklung, ETH Zürich
Bildnachweis: Raumkonzept Schweiz (Stand: Entwurf für die tripartite Konsultation); Quellen: Bundesamt für Landestopografie; Bundesamt für Statistik, GEOSTAT