Sendung Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 22.05.2023, 17:30 Uhr.
Was Agglomerationsgemeinden tun können, um sich nicht in der Gesichtslosigkeit zu verlieren. Zwei Beispiele.
Link zur Sendung mit Prof. Dr. Adrienne Grêt-Regamey (7:37 Minuten)
Textzusammenfassung der Sendung
Reihenhäuser mit gepflegten Gärten, vielleicht ein Einkaufszentrum, sicher aber eine ÖV-Haltestelle oder ein Bahnhof, der die Anbindung an die Stadt garantiert: Die Agglo gilt oft als gesichtslos, ist Übergang zwischen Stadt und Land. Sie hat keine Altstadt mit engen Gassen und Münster, und auch der Dorfplatz mit Brunnen und Linde fehlt.
Keine Identität, kein Engagement
Das mache es Agglomerationsgemeinden schwer, eine eigene Identität aufzubauen oder zu pflegen, sagt Adrienne Grêt-Regamey. Die ETH-Professorin forscht im Bereich Raum- und Landschaftsentwicklung. Erst kürzlich konnte sie in einer Studie zeigen: Menschen in Agglomerationsgemeinden identifizieren sich weniger mit ihrem Wohnort.
Das hat Konsequenzen: «Wenn die Identität fehlt, dann engagieren sich die Menschen auch seltener in der Gemeinde, es entstehen keine Netzwerke», so die Forscherin. Das mache die Agglo-Gemeinden verletzlich. «Besonders dann, wenn Veränderungen anstehen. Dann ist niemand da, der sich einsetzen kann.»
Drei Viertel der Schweiz lebt in einer Agglo
Zu einer Agglomeration gehören gemäss Bundesamt für Statistik sowohl die Gürtelgemeinden wie auch die Kernstädte.
Die Schweiz zählt heute 49 Agglomerationen. Mittlerweile lebt drei Viertel der Schweizer Bevölkerung in einer Agglomeration.
Die Stadt Zürich und ihr «Gürtel», der sich bis zu 35 Kilometer vom Zentrum weg ausdehnt, ist die grösste Agglomeration der Schweiz. 1.4 Millionen Menschen leben hier. Die kleinste Agglomeration des Landes ist Martigny mit gut 20’000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Tanja Bauer weiss um die Herausforderungen der Agglo. Sie ist Gemeindepräsidentin von Köniz. In der Berner Gemeinde wohnen über 40’000 Menschen. Trotzdem werde Köniz immer wieder übersehen. «Beim Gurtenfestival ist meist vom ‹Berner Hausberg› die Rede. Dabei ist das Köniz.» Und auch die Sprinterin Mujinga Kambundji gelte als Bernerin. «Dabei ist sie in Köniz aufgewachsen und hat hier trainiert.»
«Beim Gurtenfestival ist meist vom ‹Berner Hausberg› die Rede. Dabei ist das Köniz.» (Tanja Bauer, Gemeindepräsidentin Köniz)
Auch Marco Rupp ist Präsident einer Agglogemeinde. Fast 12’000 Menschen leben in Ittigen, nordöstlich von Bern: keine Altstadt, keine Dorflinde, dafür drei S-Bahn-Stationen. «Wir leiden schon ein bisschen darunter, dass wir keinen historischen Ortskern haben.» Die Gemeinde sucht darum den Austausch mit der Bevölkerung und fördert die Quartierarbeit: «Sobald es um die Quartiere und um die Nachbarschaft geht, sind die Menschen bereit mitzuhelfen.»
Das bestätigt auch die Raumentwicklungsexpertin der ETH. «Es bringt unglaublich viel, den Dialog mit der Bevölkerung zu stärken», so Adrienne Grêt-Regamey. «Vor allem auch mit den Neuzuzügern, sodass sie den Ort verstehen. Das fördert die Identität.» Ausserdem sei es wichtig zu wissen, was die eigene Gemeinde ausmache und auf welche Eigenschaften man setzen könne.
Bahnhof und Grünfläche als Visitenkarte
Auch bei letzterem setzt Ittigen an. «Wir haben bewusst eigene Identifikationsorte bestimmt, im Fokus standen die drei S-Bahn-Stationen», so Marco Rupp. Der Bahnhof und seine Umgebung wurden umgebaut. Das Einkaufszentrum gleich nebenan soll als Nächstes dran sein. Die Gemeinde ohne Ortskern soll also doch eine Art Zentrum bekommen.
Köniz setzt derweil auf Erholungsraum und eine Tempo-20-Zone auf einer Hauptstrasse. Die Gemeinde sei das Musterbeispiel unter den Agglomerationen, vor allem punkto Ortsplanung, so die ETH-Forscherin Adrienne Grêt-Regamey. Zum Beispiel beim Liebefeldpark, einem Naherholungsraum, eingebettet zwischen Wohnhäusern und Strasse: «Die grosse Freifläche verknüpft mit der Verdichtung der Gebäude wertet die Gemeinde massiv auf.»
Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 22.05.2023, 17:30 Uhr; stes;hofn